Als Oberbürgermeister der Stadt Halle (Saale) stehe ich seit nunmehr zwei Wochen im Feuer der Debatte. Das halte ich aus. Aber: Was dabei völlig außen vorbleibt, ist die fachliche Auseinandersetzung, die eigentlich im ganzen Bundesgebiet geführt werden müsste, nämlich: Wohin mit den Impfstoffresten? 

Die zentrale Frage dabei ist: Ist die Impfverordnung mit der festgelegten Prioritäten-Reihenfolge bei der Verwendung der Impfstoffreste vor Ort stets umsetzbar?

Zu Beginn ein Auszug aus der Pressemitteilung der Stadt Halle vom 02.03.2021:

“Der Katastrophenschutz-Stab tagt seit dem 18.12.2020 aufgrund einer Inzidenz von 200 steigend, auf der Grundlage des § 8 Abs. 2 S. 2 KatSG-LSA. Am 12.01.2021 erreichte die Inzidenz mit 335 ihren Höchstwert. 19 Kat-Stab-Mitglieder und 10 Stadträte erhielten von den Impfteams ein Impfangebot unter der Voraussetzung, dass kein anderer mehr in der höchsten Priorität für die „letzte Spritze“ erreicht werden konnte. Stadtrat und Katastrophenschutz-Stab müssen funktionsfähig bleiben.
Niemand hat sich rechtlich etwas vorzuwerfen, meiner Auffassung nach auch moralisch nichts, weil das Impfmittel ansonsten hätte vernichtet werden müssen.
In der heutigen durch Corona geprägten Zeit stellt sich überdies die Frage, was moralisch verwerflich ist: Eine Impfdosis anzunehmen, die ansonsten verfallen würde, oder daraus ein Politikum zu machen, um einen parteilosen OB aus dem Amt zu entfernen.”

Wir haben uns im Katastrophenschutz-Stab frühzeitig – vor Weihnachten – Expertenrat zu Fragen der Priorisierung geholt. Dabei wurde deutlich, dass neben den notwendigen Priorisierungen auch Fragen der Effektivität und Praktikabilität eine Rolle spielen. Genau dieser Aspekt kommt oft zum Tragen, wenn am Ende eines Impftages für die letzten übrig gebliebenen Spritzen die Zeit drängt und niemand mehr in der höchsten Priorität gefunden werden kann. In der Praxis ist es für die Impfteams unmittelbar vor Ende der Haltbarkeit der Spritze eben nicht so einfach, Menschen über 80 oder 90 Jahre zu bewegen, kurzfristig in ein Impfzentrum, in ein Krankenhaus oder an einen anderen Ort zu kommen. Diese Herausforderung stellt sich zunehmend weniger, weil mittlerweile viele Telefonnummern von Personen höchster Priorität vorliegen.

Wenn man nun von den vielen Fällen bundesweit hört, scheint diese Debatte dringend notwendig zu sein. Daran schließt sich selbstverständlich die Frage an, ob es Politiker bzw. Entscheidungsträger sein sollten, die für die letzte übrig gebliebene Spritze angerufen werden. 

Diese Frage ist berechtigt. Wir haben sie diskutiert und sind der Meinung, dass es sachgerecht und mit der Corona-Impfverordnung vereinbar ist, dass Personen, die für die Aufrechterhaltung zentraler staatlicher Funktionen eine Schlüsselstellung einnehmen, ein Impfangebot erhalten, wenn es um die letzten übrig gebliebenen Spritzen geht und das jeweilige Impfteam niemand anderen mehr in der höchsten Priorität erreicht. Katastrophenschutz-Stab und Stadtrat müssen in der Pandemie funktionsfähig bleiben. In der Stadt Halle (Saale) erhielten insgesamt 29 Kat-Stab-Mitglieder und Stadträte ein solches Angebot.

Die Gesundheitsministerin des Landes Sachsen-Anhalt sieht hier nun plötzlich den „Verdacht erhärtet“, dass Dienstvergehen begangen und gegen die Impfverordnung verstoßen wurde. Ihre Äußerungen sind rechtsirrig. Denn sowohl die alte als auch die neue Corona-Impfverordnung sehen Ausnahmen im „atypischen Fall“ vor. Während in der alten Corona-Impfverordnung – bis 07.02.2021 – für die Impf-Reihenfolge  eine „soll“-Bestimmung galt, heißt es in der neuen Verordnung jetzt ausdrücklich im § 1 Abs. 2 S. 3 CoronaImpfV: „Von der Reihenfolge nach Satz 1 kann in Einzelfällen abgewichen werden, wenn dies für eine effiziente Organisation der Schutzimpfungen, insbesondere bei einem Wechsel von einer der in Satz 1 genannten Gruppen zur nächsten, und zur kurzfristigen Vermeidung des Verwurfs von Impfstoffen notwendig ist.“ 

Die Impfärzte haben sich im Rahmen dieser Impfverordnung bewegt. Und das auch bei den erwähnten 585 Ad-hoc-Impfungen, die – entgegen der Darstellung der Gesundheitsministerin – bei Personen der höchsten Priorität erfolgten. 

Wider besseres Wissen hat die Gesundheitsministerin Sachsen-Anhalts bis heute den Umgang mit Impfstoffresten nicht geregelt. Sie überlässt dies seit Beginn der Impfungen den Kommunen, um diese nun dienstrechtlich zu belangen. Zwei Monate lang wurden in den Impfteams auf der Grundlage der Impfverordnung Entscheidungen getroffen, um den Verwurf des nach wie vor knappen Impfstoffes zu vermeiden. Denn der Bundesgesundheitsminister hat uneingeschränkt recht, wenn er sagt: „Alles ist besser als wegwerfen.“ Unser Vorgehen jetzt für rechtswidrig zu erklären und öffentlich anzuprangern ist schlicht ein Wegducken, indem die Verantwortung auf andere geschoben wird. Dies wird auch deutlich angesichts vergleichbarer Fälle im Land. Die Corona-Schutzimpfungen sollten nicht als Thema des Landtagswahlkampfes instrumentalisiert werden.

Zudem weise ich die Vorwürfe des Landesverwaltungsamtes im Hinblick einer schuldhaften Dienstpflichtverletzung wegen Verstoßes gegen die Corona-Impfverordnung entschieden zurück. Das gilt sowohl für die Ärzte in den Impfteams als auch für die Beamten im Katastrophenschutz-Stab. Die Vorgänge im Impfzentrum und in den mobilen Impfteams sind in den Antworten zu den Anfragen der Stadtratsfraktionen dargestellt und auch auf der Internetseite der Stadt Halle abrufbar. 

Nachfragen machen deutlich, dass der Begriff „Impfstoffreste“ (immer noch) falsch verstanden wird. Ich verweise ausdrücklich auf das allen Stadträten übersandte Schreiben vom 09.02.2021:

Impfstoffreste treten auf, wenn niemand mehr aus der höchsten Priorität zum Schluss des Impftages für die letzte Spritze erreicht werden kann (Szenario „letzter-Anruf-vor-Verwurf“). Unter dieser Voraussetzung erhielten 19 Kat-Stab-Mitglieder und 10 Stadträte ab Mitte Januar 2021 ein Impfangebot, die eine Schlüsselstellung für die Aufrechterhaltung zentraler staatlicher Funktionen einnehmen; die Inzidenz lag damals im Höchstwert bei 325. 

Mit Impfstoffresten ist nicht gemeint, wenn durch kurzfristige Terminabsagen (z. B. Krankheit) oder das Aufziehen einer 6. Dosis aus einer Ampulle Impfstoff zur Verfügung stand. Stets wurden zum damaligen Zeitpunkt unter diesen Voraussetzungen Personen in der höchsten Priorität geimpft (Rettungsdienst, Fachärzte mit Aerosolbelastung, Dialyse, Onkologie, Impfteams); dies geschah auch mit den 585 Ad-hoc-Impfungen! Damit beruht der von der Staatsanwaltschaft erwirkte Durchsuchungsbeschluss und die Behauptungen der Gesundheitsministerin auf falschen Annahmen und Aussagen. 

Am 24.02.2021 plädierte der Chef der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, in den Zeitungen der Funke Mediengruppe dafür, die Reihenfolge bei den Corona-Impfungen nicht allzu starr einzuhalten. In allen Impfzentren sollte es unbedingt Listen dafür geben, „wer an die Reihe kommt, wenn Dosen übrig bleiben. Damit kein Impfstoff verworfen werde, könnten „geeignete Kandidaten aus nachfolgenden „Prioritätsgruppen“ vorgezogen werden.

Auffällig ist, dass die Fraktion die in der vorherigen Anfrage gestellten Antworten für falsch oder als nicht beantwortet ansieht. Es muss nochmals darauf aufmerksam gemacht werden, dass personenbezogene Gesundheitsdaten nicht an Dritte weitergegeben werden dürfen. Dies ist Patientenschutz. Vgl. dazu unten Rdnr. 15. 

Dies vorausgeschickt, möchte ich die ergänzenden Fragen wie folgt beantworten:

Frage: Speist sich die am 06.02.2021 genannte Anzahl von 585 Ad Hoc-Impfungen aus den jeweiligen sechsten Impfdosen, die zusätzlich aus den (im o.g. Zeitraum gelieferten) 585 Ampullen der Hersteller BioNTech/Pfizer für die Erstimpfungen gezogen werden konnten? 

Antwort: Ja. Zum Zeitpunkt des Aufziehens am Beginn eines Tages war für die Impfteams nicht vorhersehbar, wie viele Impfdosen aus einer Ampulle gewonnen werden konnten. Entscheidend war das Material der Spritze und die Erfahrung der Mitarbeiter*innen. Es handelt sich daher um einen Schätzwert. Die 585 Ad-hoc-Impfungen fanden bei Personen in höchster Priorität statt.

Frage: Seit Mitte Januar konnten gemäß den Empfehlungen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) und der Hersteller BioNTech/Pfizer offiziell aus einer Ampulle 6 Impfdosen aufgezogen werden. Die Betroffenen aus dem Stadtrat erhielten ihre Erstimpfungen im Rahmen des Ad Hoc-Impfverfahrens jedoch erst nach dem 18.01.2021. Handelt es sich bei den dafür verwendeten Impfdosen um die siebten Impfdosen, die zusätzlich aus einer Ampulle gezogen werden konnten, für die es zu diesem Zeitpunkt jedoch noch keine offizielle Empfehlung/Freigabe seitens der Hersteller und des BMG gab?  

Antwort:  Nein. Die Stadträte erhielten die letzten, übrig gebliebenen Spritzen, für die niemand mehr aus der höchsten Priorität erreicht werden konnte. 

Frage: Wie viele Impfungen wurden im Zeitraum vom 19.01. bis 06.02.2021 im Rahmen des Ad Hoc-Impfverfahrens durchgeführt?

Antwort: Siehe bereits Antwort 1 der ersten Anfrage der Fraktion die MitBürger & Die PARTEI vom 16.02.2021. Es wird nicht erfasst, wie viele Menschen ihren Impftermin nicht wahrnehmen und folglich auch nicht, wie viele dann als Nachrücker*in geimpft werden. Impfungen in den Impfteams erfolgten in der höchsten Priorität.  

Frage: Wann konnte in der Stadt Halle (Saale) zum ersten Mal eine siebte Dosis aus einer BioNTech/Pfizer-Ampulle gezogen werden?

Antwort: Das kann zeitlich exakt nicht benannt werden. Entscheidend war das Material der Spritze und die Erfahrung der Mitarbeiter*innen, täglich anders. Siehe Antwort Frage 2.

Frage: Die Aussage, dass die Daten nicht erfasst wurden, ist insofern erstaunlich, als dass in der Einleitung Rdnr. 9 genaue Zahlen für einen Zeitraum von zwei Monaten angeben werden konnten. Mit dem Schreiben vom 08.02.2021 fordert Sozialministerin Petra Grimm-Benne den Oberbürgermeister auf, die Verwendung von Restimpfdosen zu dokumentieren. Wie viele Personen wurden seitdem mit Restimpfdosen geimpft? Zu welchen Prioritätsgruppen sind diese Personen zugeordnet?

Antwort: Die Aussage der Fraktion im Satz 1 ist falsch. Unten in der Rdnr. 9 wird auf einen Pool im Impfzentrum von 797 Personen der höchsten Priorität Bezug genommen, die für die eventuelle Ad-hoc Impfungen in der höchsten Priorität zur Verfügung standen. Die Zahl der Personen im Pool schwankte täglich. Vgl. dazu den Vermerk vom 05.01.2021. Nach dem 05.02.2021 konnten stets Personen in der höchsten Priorität in der Verantwortung der Impfteams vor Ort geimpft werden, vgl. unten Rdnr. 6; Tägliche Impfstoffreste gibt es somit nicht mehr, somit bedarf es auch keiner Dokumentation.

Frage: Wann und in welcher Form wurden Landes- und Bundesbehörden aufgefordert, ein geeignetes Verfahren zu entwickeln, das Ad Hoc-Verfahren zu genehmigen oder andere Hinweise zur Verwendung der betroffenen Impfdosen zu geben? 

Antwort: Die Frage wurde beantwortet. Den Fachaufsichtsbehörden war die Problematik von Beginn der Impfungen am 27.12.2020 bekannt durch Hinweise der Mitarbeiter*innen in den Impfteams. In den Telefonschaltkonferenzen mit dem Ministerium für Gesundheit und Soziales und den Gesundheitsämtern wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass keine Impfdosis verworfen werden darf. Konkrete Handlungsanweisungen erfolgten nicht. Noch am 09.02.2021 betonte die Gesundheitsministerin, dass für eine landesweite Weisung kein Bedarf besteht.

Den unteren Gesundheitsbehörden obliege insbesondere die Entscheidung über die Impfberechtigung im Einzelfall. Sie müssten klären, ob Personen über die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission hinaus einen Anspruch auf vorrangige Impfung hätten und ob im Hinblick auf bislang nicht berücksichtigte Vorerkrankungen eine Einzelfallentscheidung über die Regelungen der Coronavirus-Impfverordnung hinaus zu ermöglichen sei. Eines Umwegs über das Gesundheitsministerium als Aufsichtsbehörde bedürfe es zur Sicherung effektiven Rechtsschutzes nicht. Das Recht und die Befugnis der Aufsichtsbehörden, untergeordneten Behörden Weisungen zu erteilen, diene allein der Gewährleistung der im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verankerten Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz und nicht der Durchsetzung subjektiver Rechte.” 
Quelle: Pressemitteilung des VG Düsseldorf vom 19.01.2021, juris, zur CoronaImpfV vom 18.12.2020

Deshalb hat der Katastrophenschutzstab ein Verfahren für Ersatzpersonen in der höchsten Priorität bestätigt. Und ausschließlich im Fall des „letzten Anrufes vor Entsorgung“ wurde von den jeweiligen Impfteams den 19 Kat-Stab-Mitglieder und den 10 Stadträte ein Impfangebot unterbreitet.

Eine Entscheidung und ein Plan sind besser als keine Entscheidung und kein Plan. Bisher wurde in der Stadt Halle (Saale) bei 30.000 Impfungen keine Dosis verworfen.

Frage: Der Oberbürgermeister führte aus, dass die Stadträtinnen und Stadträte in der Fraktionsvorsitzendenrunde am 11.01.2021 sowie in der Sitzung des Hauptausschusses am 20.01.2021 über das Impfangebot informiert wurden. Dies ist richtig und wird nicht in Abrede gestellt. Dort wurden die Stadträtinnen und Stadträte informiert, dass beabsichtigt wird, sie in Kategorie 3 der Bundesimpfverordnung zu impfen.  Die gestellte Frage wurde jedoch nicht beantwortet, weswegen wir erneut fragen: Wurden alle Personen, die durch den Katastrophenschutzstab oder in dessen Auftrag auf die Liste für Ad Hoc-Impfungen gesetzt wurden, im Vorfeld über diesen Schritt informiert? Wenn ja, wann und in welcher Form? 

Antwort: Die Frage wurde beantwortet. Vielen Stadträten war durch die Fraktionsvorsitzendenrunde am 11.01.2021 und die Mitteilung ihrer Fraktionsvorsitzenden sowie dem Hinweis des OB im nicht öffentlichen Teil des Hauptausschusses am 20.01.2021 bekannt (vgl. unten Rdnr. 7), dass sie ihre Impfbereitschaft gegenüber dem OB-Büro erklären konnten. Hier wurden die Rückmeldungen unverzüglich an das Impfzentrum weitergeleitet. Ein Impfangebot bekamen die Stadträte erst dann von den jeweils – an unterschiedlichen Orten – tätigen Impfteams im angewiesenen 6-Augen-Prinzip, wenn es um den „letzten Anruf vor Verwurf“ ging und niemand mehr in der höchsten Priorität erreicht werden konnte (siehe unten Rdnr. 4). 

Nochmals zur Notwendigkeit, diese Personengruppen zu impfen, vgl. unten Rdnr. 11, einschl. der dort zu beachtenden FAQ zur BImpfV. 

Es war allen bewusst, dass es sich hier um einen atypischen Fall handelt. Die Stadträte entschieden nach Anruf durch die Impfteams, ob sie das Angebot annehmen. Es gab beim „letzten Anruf vor Verwurf“ einen „Entscheidungs- und Handlungsdruck, weil die Rede davon war, dass Impfdosen verworfen werden müssen, wenn sich niemand schnell findet“ (vgl. die Pressemitteilung des Stadtrates Johannes Menke vom 09.02.2021, Anhang).

Frage: Wann und zu welchen Fragestellungen zum Thema Corona-Schutzimpfungen hat die Stadt Halle (Saale) mit der Fachaufsichtsbehörde Rücksprache gehalten? Bitte um Auflistung unter Angabe des konkreten Anlasses sowie des Datums.

Antwort: Die Mitarbeiter*innen im FB Gesundheit und im Impfzentrums stehen zum Thema Corona-Schutzimpfungen im ständigen, fast täglichen Austausch mit dem Pandemiestab des Landes über E-Mail-Kontakt, Video- und Telefonkonferenzen sowie Telefonate. Dokumentiert sind die Erlasse und Weisungen, nicht jedes Telefonat. 

Frage: Wie viele Personen aus der „Gruppe, die eine Schlüsselstellung zur Aufrechterhaltung zentraler staatlicher Funktionen besitzen“, wurden per Zufallsgenerator und wie viele per Sechs-Augen-Prinzip ausgewählt? Wie wurde dies dokumentiert?

Antwort: Die Frage wurde bereits beantwortet, vgl. unten Rdnrn. 9 und 15. 

Frage: Wie viele Personen aus der „Gruppe, die eine Schlüsselstellung zur Aufrechterhaltung zentraler staatlicher Funktionen besitzen“, denen eine Erstimpfung verabreicht wurde, wurden einmalig kurz vor Ablauf der Haltbarkeit der jeweiligen Impfdosis kontaktiert und wie viele einige Stunden oder gar Tage vor dem Impftermin? 

Antwort: Siehe Antwort 7. Genaue Zeiten, wann die Anrufe erfolgten, wurden nicht dokumentiert. 

Frage: Zur Aussage unten Rdnr. 16, Frau Dr. Ruschke habe in der öffentlichen Stadtratssitzung am 12.02.2021 eindrucksvoll am Beispiel des Impftages des Oberbürgermeisters (17.01.2021) geschildert, dass an diesem Tag kein Mitarbeiter des Krankenhauses und auch sonst niemand anderes in der höchsten Priorität zum Schluss des Impftages für die letzte Spritze gefunden werden konnte. Welche konkreten Bemühungen wurden am 17.01.2021 von wem unternommen, um höher priorisierte Bürger zu erreichen?

Antwort: Es handelt sich um Impfstoffdosen, die das Krankenhaus eigenverantwortlich verimpfte. Demzufolge wurde die Prioritätenliste des Krankenhauses ca. 1 Stunde lang abtelefoniert. Die Impfbereitschaft war zu diesem Zeitpunkt generell noch sehr gering. Es verblieben durch die Haltbarkeit des Impfstoffes nur noch ca. 30 Minuten Zeit.  Es konnten keine weiteren Personen von der Klinikliste erreicht werden. Daten von impfwilligen Bürger*innen der Stadt Halle (Saale) liegen den Kliniken nicht vor. 

Darstellung der Abläufe im Umgang mit Impfstoffresten (Szenario “letzter-Anruf-vor-Verwurf”):

1            Der Herausforderung, was an einem Impftag mit letzten, noch übrig gebliebenen Spritzen passiert („letzter Anruf vor Entsorgung“), stellen sich in der Stadt Halle (Saale) bis zu neun städtische mobile Impfteams, das städtische Impfzentrum (Impfteams) und in eigener Verantwortung die fünf Krankenhäuser. 

2            Frau Dr. Gröger hat in einer Pressekonferenz am Anfang des Jahres geschildert, dass mit den am Impftag letzten, noch übrig gebliebenen Spritzen auch Verwaltungsmitarbeiter eines Altenpflegeheimes notgedrungen geimpft werden mussten. Der Impfstoff galt zu dieser Zeit noch als nicht transportierbar.

3            Genau für diesen atypischen Fall hat der Katastrophenschutz-Stab ein sachliches Verfahren entwickelt („letzter Anruf vor Entsorgung“). Zuvor hatte sich der Katastrophenschutz-Stab zur Frage der Priorisierungen in der CoronaImpfV extern am 21.12.2020 rechtlich beraten.

4            Herr Dr. zur Nieden, Leitender Notarzt im Rettungsdienst, hat in der Stadtratssitzung am 12.02.2021 anhand eines Flussschemas (Anlage 1) dargestellt, dass es oftmals zum Ende eines Impftages zur Suche nach weiteren Impflingen kommt, trotz guter Vorbereitung. Genau für diesen atypischen Fall („letzter Anruf vor Entsorgung“) hat der Katastrophenschutz-Stab ein sachliches Verfahren entwickelt (Anlage 2). In der Stadtratssitzung wurde Herrn Dr. zur Nieden nicht die Zeit gegeben, das Verfahren umfassend zu erläutern, er erhielt eine Zeitbegrenzung von 5 Minuten. Zur Verimpfung der letzten, übrig gebliebenen Spritzen wurde der Zufallsgenerator und das 6-Augen-Prinzip angewendet.

5            Dieses Verfahren („letzter Anruf vor Entsorgung“) entspricht den Vorgaben der CoronaImpfV. Ungeachtet der verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Verordnung: Die alte CoronaImpfV lässt aufgrund der „soll“-Bestimmung bereits in diesem atypischen Fall Ausnahmen zu. Im Wortlaut konkretisiert wird dies jetzt ausdrücklich in der neuen VO im § 1 Abs. 2 S. 3 CoronaImpfV.

Auch Medizin-Rechtler haben mittlerweile bestätigt, dass es legitim ist, Impfstoff an nachrangig Berechtigte zu geben, bevor er verfällt, wenn dies in einem geregelten Verfahren geschieht. Das hat der Katastrophenschutz-Stab der Stadt Halle (Saale) getan. Bislang gibt es dazu keine landesweite Regelung; genau darum wurde das Gesundheitsministerium gebeten.

6            Ausdrücklich: Seit der erstmals am 05.02.2021 geäußerten Kritik der Gesundheitsministerin – über die Medien – erfolgten keine Impfungen mehr an Stadträte und Mitglieder des Katastrophenschutz-Stabes. Die Stadt verimpft nach der höchsten Priorität, gleichwohl bleibt in der Praxis stets die Herausforderung, was zu tun ist, wenn niemand anderes am Ende des Impftages für die letzte Spritze gefunden werden kann. Auch wenn sich nach Erhalt der schriftlichen Impfzusagen von den Über-80-Jährigen die oben geschilderte Herausforderung eines atypischen Falles zunehmend weniger stellt.

7            Die Stadträte nehmen für die Aufrechterhaltung zentraler staatlicher Funktionen eine Schlüsselstellung ein. Über ein Impfangebot habe ich die Stadträte am 11.01.2021 (Fraktionsvorsitzenden) und am 20.01.2021 (nicht öffentlicher Teil des Hauptausschusses) informiert. Zehn Stadträte haben daraufhin ihren Impfwunsch erklärt, ihre Kontaktdaten wurden an das Impfzentrum für die Verteilung der letzten, noch übrig gebliebenen Spritze („letzter Anruf vor Entsorgung“) weitergeleitet. Zur Anwendung kam dort das 6-Augen-Prinzip. War ein Impfling ausgewählt, aber nicht verfügbar, wurde er in den nächsten Tagen noch einmal angerufen. Viele Stadträte haben sich nach ihrer Impfung bei den Impfteams bedankt. 

8            Drei Wochen blieb eine Reaktion der übrigen Stadträte aus. Erst als meine Impfung am 05.02.2021 bekannt wurde, brach ein Sturm der Entrüstung los. Konstruiert wird vorliegend ein politischer Skandal. Das bedauere ich sehr.

Es folgt eine Jagd auf Personen, die sich rechtmäßig haben impfen lassen, auf Impfteams und Verantwortliche in Krankenhäusern. Eine Jagd, der ich nichts abgewinnen kann. Deshalb möchte ich weiter versachlichen.

Zu den Einzelheiten:

9            Am 27. Dezember 2020 haben wir in Halle mit den Impfungen begonnen. Als deutlich wurde, dass abends Impfstoffreste übrig bleiben, folgte die Frage, wie wir mit diesen umgehen, mit dem klaren Ziel: „Nichts darf weggeworfen werden“. Unter dieser Maßgabe standen die weiteren Entscheidungen des Katastrophenschutz-Stabes. Impfstoffreste sollten vor Ort verimpft werden. Verwurf – wie in einigen Städten praktiziert – kam nicht in Frage. Ich habe die Ärzte aus dem Katastrophenschutz-Stab beauftragt, hierzu ein sachliches Verfahren für diese Ad-hoc-Impfungen zu entwickeln. Diesem Vorschlag wurde am 5. Januar 2021 im Katastrophenschutz-Stab zugestimmt und er wurde am 03.02.2021 verschriftlicht. Seit Beginn der Impfungen am 27.12.2020 bis zum 04.02.2021 wurden im Pool des Impfzentrums insgesamt 797 Personen der höchsten Priorität für den „letzten Anruf vor Entsorgung“ erfasst; hier kam der Zufallsgenerator zum Einsatz. Die Zahl der Personen im Pool schwankte täglich. 29 priorisierte Personen (Katastrophenschutzstab, Stadträte) wurden nach dem 6-Augen-Prinzip angerufen, wenn es um die letzten, noch übrig gebliebenen Spritzen ging. 

10         Wie anders damit umzugehen ist, beantwortet auch eine vom Gesundheitsministerium als Muster übersandte Dienstanweisung des Burgenlandkreises nicht. Ebenso nicht die vom Gesundheitsministerium angegebenen Erlasse oder E-Mails, noch dazu diese vom 29.01.2021 und 04.02.2021 stammen, einem Zeitpunkt, zu dem die Impfteams bereits seit einem Monat vor der oben geschilderten Herausforderung standen. Dem Gesundheitsministerium war die Herausforderung bekannt, auch, dass Personen in Sachsen-Anhalt in nicht höchster Priorität geimpft wurden (Volksstimme, 12.02.2021, „Minister-Zoff wegen Impfverstößen“).  

11         Ich möchte betonen, dass sich die Mitglieder des Stadtrates und des Katastrophenschutz-Stabes nicht vorgedrängelt haben, sondern es stets um den „letzten Anruf vor Entsorgung“ ging. Beide Gruppen gehören nach der CoronaImpfV zu der prioritären Personengruppe und haben in einer vom Landtag festgestellten epidemischen Lage nationalen Ausmaßes besondere Bedeutung für die politisch zwingend erforderliche kommunale Willensbildung und zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung unter Zurückdrängung des Coronavirus SARS-CoV-2. Sie haben viele Kontakte, die unvermeidbar sind und das Ansteckungsrisiko steigern. Infiziert sich beispielsweise ein Stabsmitglied, wären mehrere Mitglieder von einer 14-tägigen Quarantäne betroffen.

So führt auch das Bundesgesundheitsministerium auf seiner aktuellen Internetseite aus:

“Wird die Impf-Reihenfolge geändert?

Nein, es wird an der bisherigen Reihenfolge festgehalten (Wer wird zuerst geimpft?). Ein Anspruch auf eine Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 besteht auch weiterhin prioritär für Personen, die aufgrund ihres Alters oder Gesundheitszustandes ein signifikant erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf haben, sowie für Personen, die solche Personen behandeln, betreuen oder pflegen. Aber: Als weitere prioritär zu impfende Personengruppe haben insbesondere diejenigen Personen einen Anspruch auf eine Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2, die beruflich einem sehr hohen Expositionsrisiko ausgesetzt sind und jene, die in zentralen Bereichen der Daseinsvorsorge und für die Aufrechterhaltung zentraler staatlicher Funktionen eine Schlüsselstellung einnehmen.”

Quelle: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/coronavirus/faq-covid-19-impfung/faq-impfverordnung.html#c20361 (14.02.2021 – 17:05 Uhr)

12         Zudem möchte ich für auch diejenigen, die diese Einschätzung nach einem Jahr harter Arbeit im Katastrophenschutz-Stab nicht teilen, Herrn Bundesminister Spahn zitieren: „Alles ist besser als wegwerfen!“ 

Mittlerweile muss ich schon vermuten, dass dies bewusst nicht verstanden werden will.

13         Der Katastrophenschutz-Stab hält das Impfangebot an die Stadträte und Mitglieder des Katastrophenschutz-Stabes in diesem atypischen Fall („letzter Anruf vor Entsorgung“) für sachlich gerechtfertigt, kann die Kritik und andere Meinungen hierzu aber verstehen. In einer Gemeinsamen Erklärung vom 10.02.2021 haben sich alle Mitglieder des Katastrophenschutz-Stabes dafür entschuldigt, dass die Abläufe der Impfangebote für diesen atypischen Fall („letzter Anruf vor Entsorgung“) nicht ausreichend öffentlich dargestellt wurden.

14         Jeder Stadtrat erhielt am 09.02.2021 aus dem OB-Büro per E-Mail übersandt: eine Darstellung des Verfahrens zum Umgang mit Impfstoffresten und eine persönliche Stellungnahme des OB. Zudem wurde im Stadtrat am 12.02.2021 das „Flussschema Impfen“ als Tischvorlage ausgeteilt.

15         Hinweisen möchte ich noch auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht, hier das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dazu gehört der innerste, unantastbare Bereich der Persönlichkeit, selbst zu entscheiden, lasse ich mich grundsätzlich impfen, tue ich dies in einem atypischen Fall und mache ich dieses zudem öffentlich. Dies zu achten, gehört zu meinen Grundüberzeugungen. Die Daten eines Impflings unterliegen dem Patientendatenschutz und dürfen nicht veröffentlicht werden; dies ist im Impfzentrum sichergestellt. 


Zur mir persönlich:

16         Am 17.01.2021 wurde ich zu Hause angerufen, ob ich in 15 Minuten im Diakonie-Krankenhaus sein könne. Dies habe ich zunächst abgelehnt. Mir wurde umfassend erklärt, dass aktuell niemand anderes zur Verfügung steht und der Impfstoff sonst weggeworfen werden müsse. Nach dieser Diskussion habe ich entschieden, mich impfen zu lassen. Ich habe vor Ort noch einmal gefragt, ob niemand anderes da sei. Dies wurde ausdrücklich von den Anwesenden bejaht. Das Impfteam vor Ort war Dr. Kathrin Ruschke (Ärztliche Direktorin des Diakonie-Krankenhauses), Daniel Schöppe (Leiter des Impfzentrums) und Amtsärztin Dr. Christine Gröger (Leiterin des Fachbereiches Gesundheit) sowie weitere Mitarbeiter des Krankenhauses, die bereits geimpft waren. Ich wurde von Frau Dr. Kathrin Ruschke geimpft. Nach Aussagen des Impfteams wurde ich im 6-Augen-Prinzip ausgesucht. Eine Zweitimpfung habe ich nicht bekommen. 

Frau Dr. Ruschke hat in der öffentlichen Stadtratssitzung am 12.02.2021 eindrucksvoll am Beispiel meines Impftages (17.01.2021) geschildert, dass an diesem Tag kein Mitarbeiter des Krankenhauses und auch sonst niemand anderes in der höchsten Priorität zum Schluss des Impftages für die letzte Spritze gefunden wurde. Irrelevant ist somit, wie viele andere Personen in höchster Priorität noch nicht geimpft waren.

Wohin mit den Impfstoffresten?