Der Stadtrat hat in der Juni-Sitzung 2017 das Thema „Vernetzte Stadt“ als Vorschlag für eine Bewerbung zur “Europäischen Kulturhauptstadt 2025” abgelehnt.

Das Thema “Digitalisierung” mit ihren künftigen Auswirkungen auf Mensch und Gesellschaft für unsere Stadt bleibt. Viele Verantwortliche in der Stadt Halle (Halle) möchten diesen Fragen weiter nachgehen, dabei auch das menschliche Miteinander beleuchten und folgerichtig maßgebliche Veränderungen einleiten.

Die Digitalisierung, die eigentlich unser Leben angenehmer, schöner und sozial machen soll. Dennoch fühlen sich viele Bürgerinnen und Bürger überfordert oder gar unzulässig beeinflusst. Viele Fragen drängen sich auf u.a.: Wie wollen wir im Jahr 2025 in unserer Stadt leben? Wie muss eine Kommune auf die Digitalisierung regieren? Wie muss sich die örtliche Gemeinschaft, die Kultur im weitesten Sinne verhalten oder gar verändern? Was bedeutet das für jeden Bürger?

Wird es letzten Endes zu einer neuen Elite optimierter Übermenschen kommen, so wie es Yuval Noah Harari in „Homo Deus, Eine Geschichte von morgen, Verlag C.H.Beck, München 2017“ befürchtet. Nach seinen Prognosen wird sich Reichtum und Macht künftig in den Händen einer winzigen Elite konzentrieren, welche die besonders leistungsfähigen Algorithmen besitzt, was eine beispiellose soziale und politische Ungleichheit zur Folge hätte. Um entgegenzuwirken, fehlt es der Politik Anfang des 21. Jahrhunderts an großen Visionen. Regieren ist nach Hariri’s Sicht zu bloßer Administration geworden, das Land wird verwaltet, aber nicht geführt. Die Regierung mache sich keine Gedanken, wo das Land in 20 Jahren sein wird. Wenn es den immer größer werdenden Datenmengen (Dataismus) gelingt, die Welt zu erobern, was wird dann mit uns Menschen geschehen? Sobald die Macht von den Menschen auf die Algorithmen übergehe, könnten die humanistischen Projekte irrelevant werden. Doch sobald das „Internet aller Dinge“ existiert und funktioniert, könnten wir von Entwicklern zu Mikrochips und dann zu Daten schrumpfen und uns am Ende im Datenstrom auflösen wie ein Klumpen Erde in einem reißenden Fluss. Diese Prozesse werfen aus Hariri’s Sicht folgende Schlüsselfragen auf: Sind Organismen wirklich nur Algorithmen, und ist Leben wirklich nur Datenverarbeitung? Das im Internet angeforderte Spiel wird nicht mehr von den Spielern gespielt, sondern das Spiel bespielt die Spieler. Was ist wertvoller: Intelligenz oder Bewusstsein? Was wird aus unserer Gesellschaft, unserer Politik und unserem Alltagsleben, wenn nichtbewusste, aber hochintelligente Algorithmen uns besser kennen als wir uns selbst?

Anliegend einige ausgewählte diskussionswürdige Themenkreise zum Thema Digitalisierung:

  • Gesellschaft: Wie kommt der Bürger mit der immer schneller werdenden Flut von Informationen zurecht? Wer darf Kontrolle über meine Daten haben? Mehr Reichweite für unser Gehirn dank digitaler Unterstützung. Gibt es Grenzen im Dataismus? Das Internet ist heute bereits eine nicht mehr kontrollierbare freie und rechtlose Zone, die die Privatsphäre abschafft und zu einem Sicherheitsrisiko wird. Algorithmen sollen die Gesellschaft unterstützen, nicht ersetzen. Die Gesellschaft muss in der Lage sein, den Algorithmus von außen zu prüfen. Was muss ein mündiger Bürger heute verstehen? Im Datenkapitalismus geht es um “lesen und gelesen werden”. Daten-TÜV? Ziel des Menschen, den eigenen Score zu erhalten oder zu erhöhen; Empathie geht verloren. Wie wird der Mensch gescort? Manipulationen durch Dataismus? Wo findet die Gesellschaft verlässliche Daten? Wie erlangt der Mensch die digitale Risikokompetenz, um Manipulationen zu verhindern. Je eher die Gesellschaft akzeptiert, dass digitale Fußabdrucke die eigene Persönlichkeit offenbaren, desto besser können wir uns auf die Zukunft einstellen. Unsere Freiheiten können wir nur dann schützen, in dem wir uns erweitern, verbessern, gegenarbeiten. Gibt es eine Ethik für eine neue, unaufgeregte Generation?
  • Arbeit: Digitalisierung bedeutet, dass Arbeitsplätze verschwinden. Maschinen vermenschlichen, neue mediale Sozialräume entstehen. Viele Berufe wird es nicht mehr geben, die Beschäftigten werden lernen müssen, sich häufiger neu zu orientieren. Wie können die Beschäftigten für neue, kreative und flexible Berufe vorbereitet werden? Welche Anforderungen ergeben sich daraus für die Arbeitsagenturen? Wie können neue Jobs geschaffen werden, die Menschen besser verrichten als Algorithmen? Roboter sollten inspirierend sein, den Menschen erweitern, nicht ersetzen. Vertrauen zu Maschinen wird begrenzt bleiben, eine kritische Kommunikation sollte immer von Angesicht zu Angesicht geführt werden.
  • Bildung: “eigenständiges Denken” wird zum Hauptfach. Digitale Risikokompetenz wird erlangt durch richtiges Fragen. Wie lerne ich zu strukturieren? Können Roboter menschliche Lehrer ersetzen? Wissen verdoppelt sich alle 5 – 12 Jahre, Kapazität des Arbeitsgedächnisses bleibt jedoch gleich. Die Einführung eines Wissensraumes im Kopf führt zu digitalen weiteren Ressourcen; gekennzeichnet durch Manipulierbarkeit.  Twitter und Facebook geben nur eine begrenzte Weltsicht wieder, Missbrauch von Twitter-Bomben. Es gibt Werkzeuge, die falsche Nachrichten identifizieren: Fake-News-Checking. Menschen sind nur schwer zu manipulieren, wenn sie gebildet sind; deshalb Kreativität fördern.
  • Verkehr: Kann der Verkehr so vernetzt gesteuert werden, dass es keine Staus mehr gibt?
  • Sport: Wie müssen die Wettkampfstätten ausgestattet werden, wenn es keine Schiedsrichter mehr gibt? Wie verändern sich die Anforderungen an Trainer und Sportler?
  • Kultur: Wie verändert sich das Theater, die Oper, wenn Stücke von Programmen geschrieben oder komponiert werden? Wie reagieren die Zuschauer? Kommt es zu einem Wandel der Kultur?
  • Stadtplanung: intelligente Straßenlampen mit Lampe, Wlan-Hotspot, Messgerät
  • Staat und Politik: Wie viel Staat ist nötig? Transparenz und Steuerbarkeit des Systems sinken. Politiker sind oft nicht mehr Souverän, sie werden “abgewatscht”. Schafft es die Politik Schritt zu halten? Viele Politikwissenschaftler behaupten, am besten sollte man alle wichtigen Entscheidungen dem freien Markt überlassen. Reicht das? Können sich die Politiker aus der Sicht Harari’s damit eine perfekte Entschuldigung für Nichthandeln schreiben? Zwischen Digitalisierung und Demokratie gibt es keinen Kausalzusammenhang. Muss die Politik das Ausforschen des Menschen verbieten? In der Black-Box-Gesellschaft gefährden undurchsichtige Algorithmen die Demokratie, die Politik könnte steuern. Denkbar ist ein öffentliches Kommunikationssystem zum Schutz der Privatsphäre. Es gilt, eine neue Professionsethik aufzubauen. Kommunikation ist nicht steuerbar. Es beginnt die Suche nach einem adäquaten Governance-Mix. Die Digitalisierung führt uns (nicht) in eine neue Zukunft.

Die Ergebnisse dieser und anderer Fragen werden direkt das städtische Leben und die Gestaltung unserer Stadt beeinflussen. Was ist wichtig? Reichen die 10 Gebote der digitalen Ethik? Was ist für die Kommune leistbar? Und: Gibt es Grenzen?

Jede Stadt muss ihren eigenen Weg zu einer vernetzten Stadt gehen; definieren, was darunter zu verstehen ist. Eine Strategie ist zu entwickeln, beginnend mit einer Bestandsaufnahme. In den kommenden Wochen wird in der Stadt Halle (Saale) geklärt, wie und in welcher Rechtsform das Thema “Digitalisierung” bearbeitet wird. Verantwortliche sind zu benennen.

Eine Strategie sollte von der Stadt gemeinsam mit den Bürgern und externen Partnern (u. a. Universitäten, wissenschaftliche Institute) öffentlich entwickelt und erstritten werden, dokumentiert auf einer offenen Plattform im Netz. Eine vernetzte Stadt ist  ein mögliches Zukunftsszenario, kein zwingendes; Scheitern muss erlaubt sein. Nicht alles was innovativ ist, ist gut für die Menschen in einer Stadt. Zu erkennen, dass es keinen Nutzen in einer vermeintlichen Innovation gibt, ist womöglich  “am Ende die vielleicht größte Herausforderung” (Katharina Kutsche in: Süddeutsche Zeitung am 15./16.7.2017, S. 26).

Digitalisierung in der Stadt Halle (Saale)